Ein erweiterter Rückblick auf unser 30/30-Event am 24.2.2017
Sturmtief „Thomas“ hat zugeschlagen – die Runde, die gestern Abend mit unseren Referenten das Thema „Propaganda und Hass im Netz“ diskutiert hat, war zwar nur klein. Aber umso intensiver und offener war das Gespräch. Wir können die Inhalte hier nicht erschöpfend wiedergeben, wollen aber kurze Gedankenanstöße weitergeben und einige der diskutierten Phänomene im Netz verlinken.
Zunächst einen herzlichen Dank an die engagierten Referenten für die Einblicke:
Gerald Hensel, bis vor Kurzem Digitalstratege bei Scholz & Friends, hat uns seine Erlebnisse rund um die von ihm ausgelöste Aktion #KeinGeldfürRechts geschildert – und was er daraus gelernt hat: Zusammen mit Gleichgesinnten gründet er derzeit die Initiative Fearless Democracy.
Katharina Hölter von bento berichtete aus der Redaktion vom Umgang mit Hasskommentaren und den persönlichen Erfahrungen, die man dabei so sammelt – anschaulich illustriert im Video „Post vom User“ von Nike Laurenz.
Bei bento.de sind die Kommentare deaktiviert. Die Redakteur*innen sind aber mit ihren echten Twitteraccounts genannt, so dass sie dort gerade bei Meinungs- und politischen Themen mit herabsetzenden und aggressiven Antworten konfrontiert werden. Und auch bei bento auf Facebook und Twitter geht’s immer wieder eher unsachlich zu. Interessant, dass Instagram- und Snapchat-User offensichtlich besser erzogen sind – oder die Trolle den Weg bis dorthin noch nicht gefunden haben. Bei Spiegel Online, so Katharina Hölter, wo eher ältere Männer unterwegs seien, da sei in den Kommentarspalten einiges mehr los (Hier einfach die Kommentare bei beliebigen SPON-Artikeln lesen).
Generell, so Gerald Hensel, gebe es eher selten ganz gezielte Abstimmung von Kampagnen, etwa in geschlossenen rechten Facebook-Gruppen. Im Allgemeinen gäben rechtskonservative Meinungsbildner in ihren Artikeln Rahmen und Stoßrichtung vor, wie der Gegner angegriffen werden könne – und die Leser würden von selbst aktiv. Mehr als ein Framing sei da gar nicht nötig.
So werden Menschen persönlich angegriffen und aus der Gemeinschaft ausgegrenzt. Häufig vor der Folie von Verschwörungstheorien und verborgenen Kontakten „nach ganz oben“. Oft trifft es gerade aktive, engagierte Personen aus der Mitte der Gesellschaft. Ein Beispiel: Der Angriff auf die Staatssekretärin Sawsan Chebli bei „Tichys Einblick“ (Vorsicht, toxischer Link!).
In der Diskussion kam auch die Frage auf, was man gegen den Hass tun könne. Hensels Initiative Fearless Democracy (hier: bei Facebook) zum Beispiel möchte Betroffenen in Zukunft Unterstützung bieten und die Öffentlichkeit und Politiker sensibilisieren. Inzwischen gibt es einige Gruppen wie zum Beispiel #Ichbinhier auf Facebook oder auch die Amadeus-Antonio-Stiftung (mit ihrem Engagement gegen Hate Speech), die dazu aufrufen, im Netz positiv Stellung zu beziehen, um das Feld nicht den Hetzern alleine zu überlassen. Auch wenn die Hetze uns in unserer Filterbubble nicht erreicht – sie ist da und engagierte Gruppen wie die Hooligans gegen Satzbau, Mimikama oder die Hoaxmap leisten zur Zeit eine viel effizientere Arbeit bei deren Entlarvung als die Plattformbetreiber selbst. Facebook reagiert extrem träge und hat zum Beispiel kürzlich Neumitgliedern massenhaft rechte Gruppen vorgeschlagen, weil diese aufgrund von Bot-Aktivitäten als aktiv erschienen und daher im Ranking ganz oben standen. Wobei die Fake-News- und Bot-Debatte nun wieder in eine ganz andere Ecke führt.
Was sind diese Hetzer denn eigentlich für Menschen? Oftmals ganz „normale“, friedliebende Familienmenschen, die aber in der vermeintlichen Anonymität und der Massenbewegung des Internets die Hemmschwellen verlieren. Zum Teil auch, weil sie gar nicht begreifen, was sie wirklich tun. Werden diese Menschen isoliert einzeln angesprochen, wie das zum Beispiel Renate Künast getan hat, erweisen sie sich manchmal als einsichtig und bedauern, was sie getan haben.
Auch der Journalismus leistet einen Anteil daran, Hass zu verhindern, indem er so genannte „Fake-News“ kritisch hinterfragt und die Prozesse, die dahinter stecken, entlarvt – bis hinab zum vorgeblich authentisch viralen Video, das aber dann doch bewusst produziert und gestreut wurde. Meine Meinung: Wer regelmäßig den Bild-Blog oder die unzähligen, toll recherchierten Hintergrundartikel der engagierten Medien liest – für den ist der „Lügenpresse“-Vorwurf gerade von den notorischen Faktenverleugnern komplett absurd.